Wer seinen Versicherer oder Internetanbieter anruft, muss oft lange ausharren, bis er zu einem Mitarbeiter durchgestellt wird. Das Unternehmen VirtualQ will dem ein Ende machen. Anrufer haben dabei mehrere Möglichkeiten.
Ob Internetanbieter, Energieversorger oder Versicherer – irgendwann muss man mit jedem von ihnen etwas regeln, und sei es nur die Vertragskündigung. Doch hat man sich endlich zu dem lästigen Anruf überwunden und die Nummer gewählt, passiert oft erst einmal eines: Man wartet. „Bitte haben Sie noch einen Moment Geduld“, sagt die säuselnde Stimme am anderen Ende der Leitung. „Sie werden mit dem nächsten freien Mitarbeiter verbunden.“ Die darauffolgenden Minuten kann der Anrufer dann monotonem Jazzgedudel lauschen.
Geduldig sind die Deutschen dabei nicht, zeigt eine Studie im Auftrag der Telekom. Nach 60 Sekunden Wartezeit legen 21 Prozent der Anrufer auf. Nach zwei Minuten sind es schon 40 Prozent. Außerdem ist mehr als die Hälfte der Befragten nach dieser Zeitspanne verärgert.
Diesem für alle Seiten frustrierenden Prozess will das Unternehmen VirtualQ ein Ende machen. Q steht für das englische Wort „queue“ – also Schlange – und die will das Team reduzieren. Bei den „Gründerszene“-Awards, einer Auszeichnung für Digitalunternehmen mit besonders starkem Wachstum, gab es dafür jüngst den Sonderpreis in der Kategorie Technologie.
„Wenn ein Kunde bei einer Service-Hotline anruft, erkennt das System aufgrund von Daten, wie lang die Wartezeit aktuell ist“, erklärt Jens Kühnapfel, einer der drei Gründer von VirtualQ, die Funktionsweise. „Dann sagen wir: Es sind sieben Minuten Wartezeit. Wollen Sie in der Warteschleife bleiben, oder sollen wir Sie informieren, wenn Sie an der Reihe sind?“
Kunden werden zurückgerufen
Entscheidet sich der Anrufer für letzteres, kann er danach einfach auflegen – und die nächsten sieben Minuten lang das Frühstück fortsetzen, sich auf den Weg zur Arbeit machen oder andere Dinge erledigen. Sobald bei der Hotline wieder jemand verfügbar ist, bekommt er eine Benachrichtigung: entweder einen direkten Rückruf, eine SMS oder eine Push-Meldung in der App des jeweiligen Anbieters. Nimmt er den Anruf an oder klickt auf die Nachricht, wird er sofort zum nun freien Mitarbeiter durchgestellt. Mehr als 10.000 Kunden werden so mittlerweile jeden Tag vor der Warteschleife bewahrt, sagt Kühnapfel.
Die direkten Kunden von VirtualQ sind allerdings nicht die Verbraucher, sondern rund 70 Unternehmen mit Service-Hotline, die ihre Callcenter auf diese Weise umrüsten lassen. Kühnapfel weiß, warum die sich für sein System entscheiden: „Die einzelnen Versicherer, Stromversorger und Banken sind von ihren Leistungen her so austauschbar geworden. Ist man mit dem einen nicht zufrieden, wechselt man mit einem Klick zum nächsten“, sagt er. „Das einzige, worüber sich ein Unternehmen noch differenzieren kann, sind Service und Kundenkontakt.“ Die Warteschleifen-Lösung ist dabei eine Möglichkeit, bei den Kunden Pluspunkte zu sammeln.
Ein Unternehmen, dass das mit dem VirtualQ-Angebot erreichen will, ist die Gothaer Krankenversicherung. Deren Leiter im Bereich Kunden- und Vermittlerservice, Emanuel Bächli, führte das System im vergangenen Jahr ein. Für Extremsituationen, wie er es nennt, in denen Anrufer – bis zu Zweitausend sind es pro Tag – mehr als zwei Minuten warten müssen. „Seitdem sind unsere Kunden deutlich zufriedener“, sagt Bächli. In den vergangenen zwölf Monaten habe der Versicherer 80.000 Warteminuten einsparen können. Die Zufriedenheit der Klienten, die am Ende eines Telefonats abgefragt wird, stieg um fast acht Prozent. Das mache die Gespräche auch für die Hotline-Mitarbeiter einfacher.
Zwar gebe es technisch auch andere Möglichkeiten, um Wartezeiten zu verkürzen. „Bei VirtualQ hat uns aber die Orientierung am Endkunden überzeugt“, sagt Bächli. Im Fokus stünden nicht interne Prozesse, sondern die beste Lösung für Verbraucher.
In Zukunft will Bächli deshalb weitere Angebote von VirtualQ nutzen. Hoch im Kurs steht die Sprachautomatisierungssoftware des Unternehmens. Ruft ein Kunde außerhalb der Öffnungszeiten an, hilft ihm eine Computerstimme weiter – und vereinbart einen Termin für den nächsten Tag oder gibt Auskunft, wann eine gute Zeit für einen erneuten Versuch ist. Bei Stadtwerken beispielsweise lassen sich auch die Zählerstände auf diese Weise durchgeben.
Die „Gründerszene“-Awards
Die „Gründerszene“-Awards zeichnen jedes Jahr die 50 wachstumsstärksten deutschen Digitalunternehmen aus. Grundlage ist ein Score, der die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) der letzten drei Geschäftsjahre und das Alter des Unternehmens berücksichtigt. Zudem zeichnet „Gründerszene“ (gehört wie WELT zur Axel Springer SE) wichtige Branchensieger aus und verleiht Sonderpreise.
Originalquelle: Diese Idee soll die Warteschleife abschaffen